Die Feststellung, welchen Bestand und Wert ein Nachlass hat, ist eine äußerst wichtige Aufgabe nach dem Erbfall. Vor allem hat sie Bedeutung für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs.
Der Pflichtteil steht einem Abkömmling nach dem Tod eines Elternteiles zu. Die Eltern haben Pflichtteile nach dem Tod ihres Kindes nur dann, wenn der Erblasser selbst keine Kinder hatte. Darüber hinaus ist der Ehegatte des Erblassers pflichtteilsberechtigt. Der Pflichtteil muss vom Berechtigten gegenüber dem Erben geltend gemacht werden. Der Pflichtteil kann nicht dadurch umgangen werden, dass der Erblasser kurz vor seinem Tod sein Vermögen verschenkt, da aus Schenkungen innerhalb von 10 Jahren vor dem Tode ein Pflichtteilsergänzungsanspruch resultiert. Bei Ehegatten werden Schenkungen ohne zeitliche Grenze für den Pflichtteilsergänzungsanspruch berücksichtigt.
Der Pflichtteil ermittelt sich mit einem Bruchteil des Nachlasses. Es muss deshalb der Bestand und der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Versterbens exakt ermittelt werden. Nur so kann der Pflichtteil beziffert werden. Der korrekten Bewertung des Nachlasses kommt daher eine erhebliche Bedeutung zu. So hat der Pflichtteilsberichtigte nicht nur einen Auskunfts-, sondern auch einen Wertermittlungsanpruch bezogen auf alle Nachlassgegenstände gegenüber dem Erben auf Kosten des Nachlasses.
In seiner Entscheidung vom 08.04.2015 – IV ZR 150/14 – hat sich der BGH jüngst mit den Grundsätzen der Bestimmung des Nachlasswertes im Rahmen der Pflichtteilsberechnung befasst.
In dem entschiedenen Fall macht der Kläger seinen Pflichtteil geltend. Zum Nachlass zählt auch ein Grundstück in Berlin, dessen Wert im Nachlassverfahren durch einen Sachverständigen auf 2 Millionen Euro bestimmt wurde. Der Testamentsvollstrecker veräußerte dieses Grundstück jedoch nur zu einem Preis von 1,31 Millionen Euro. Diesen Betrag hatte ein anderer Gutachter als angemessenen Kaufpreis ermittelt. Zwei weitere Wertermittlungen wurden während der gerichtlichen Auseinandersetzung eingeholt. Diese waren ebenfalls höchst unterschiedlich ausgefallen. Eines sah den Wert bei 2,1 Millionen Euro, das andere bei 1,38 Millionen Euro.
Welcher Wert ist nun bei der Pflichtteilsberechnung zu Grunde zu legen?
Der BGH hat in seiner aktuellen Entscheidung betont, dass der Pflichtteilsberechtigte wirtschaftlich so zu stellen sei, „als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden“. Abzustellen sei auf den „so genannten gemeinen Wert, der dem Verkaufswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht. Auch Nachlassgegenstände, die bald nach dem Erbfall veräußert werden, von außergewöhnlichen Verhältnissen abgesehen, sollen grundsätzlich mit dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis bewertet werden. Dieser ist auch dann maßgeblich, wenn er niedriger ausfällt als anhand allgemeiner Erfahrungswerte zu erwarten gewesen wäre. Auch wenn zwischen dem Erbfall und dem Zeitpunkt der Veräußerung ein längerer Zeitraum liegt, ist der Verkaufspreis der wesentliche Anhaltspunkt für die Wertermittlung.“
Es gibt jedoch auch Ausnahmen von dieser Regel. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger dem Berufungsgericht mit der Vorlage des Gutachtens, das einen Grundstückswert von 2,1 Millionen Euro auswies, hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der Verkaufswert nicht mit dem Grundstückswert zum Zeitpunkt des Erbfalls identisch ist. Der BGH stellt fest, dass „unter Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG […] das Berufungsgericht allerdings übersehen [hat], dass eine Bindung an den tatsächlich erzielten Verkaufspreis dann nicht mehr in Betracht kommt, wenn der darlegungs- und beweispflichtige Pflichtteilsberechtigte Tatsachen vorträgt und unter Beweis stellt, nach welchen der Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht…..Der Tatrichter kann bei mehreren sich widersprechenden Gutachten den Streit der Parteien nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt.“
Der BGH hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück verwiesen.
Fazit: Scheuen Sie sich als Pflichtteilsberechtigter nicht, Ihren Zweifeln am festgestellten Nachlasswert deutlich Ausdruck zu geben.