„Beim Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung, bei der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen und bei der Verkündung der Urteilsformel erheben sich sämtliche Anwesende von ihren Plätzen. Im Übrigen steht es allen am Prozess Beteiligten frei, ob sie bei der Abgabe von Erklärungen und bei Vernehmungen sitzen bleiben oder aufstehen.“(Vergl. Nr. 124, Absatz 2 Satz 2 Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren(RiStBV)).
Hier könnte der Blogbeitrag enden, denn mit der o.a. Richtlinie ist alles gesagt. Nur die Realität im Landgerichtsbezirk Neubrandenburg sieht oftmals anders aus. Richter erwarten von den Prozeßbeteiligten und Zuschauern ein Aufstehen nach jedem erneuten Betreten des Gerichtssaales durch das Gericht, nach jeder noch so kurzen Unterbrechung, Beteiligte und Zuschauer stehen in vorauseilendem Gehorsam auf.
Das auch bei der Vereidigung von Schöffen aufgestanden wird, ist für mich nachzuvollziehen als eine Geste des Respekts wie auch das Aufstehen beim erstmaligen Betreten des Saales durch das Gericht. Wenig nachvollziehbar ist für mich, das einige Richter von mir erwarten, dass ich nach einer kurzen Unterbrechung wegen einer Beratung des Gerichts oder nach der Mittagspause erneut aufstehe.
Kein Gericht hat es nötig, sich vielfach an einem Verhandlungstage des Respekts der Beteiligten zu versichern, nachdem dieses Eingangs der Gerichtsverhandlung geschehen ist, ein derart inflationärer Gebrauch dieser Geste entwertet meiner Meinung nach den Sinn des Aufstehens als Respektsbekundung. Zudem macht die Erwartungshaltung einiger Gerichte den Eindruck, dort herrsche ein obrigkeitsstaatliches Verständnis vom Verhältnis Gericht/Prozeßbeteiligte, also ein sehr hierarchisches Verständnis von dem Verhältnis des Gerichts zu den Prozeßbeteiligten.
Wie aber soll man es vor Gericht halten als Prozeßbeteilgter? Für mich als Strafverteidiger ist es einfach, ich halt mich an die o. a. RiStBV. Was aber macht der Angeklagte neben mir, für den es um die Frage Bewährung oder Freiheitsstrafe pur geht? Mit Rücksicht darauf, dass Richter auch nur Menschen sind(egal, wie oft man aufsteht!), rate ich meinen Mandanten, so oft aufzustehen, wie es vom Richter erkennbar erwartet wird. Möglichweise einen Richter zu verärgern, von dessen Entscheidung die eigene Freiheit abhängig ist, ist eben nicht ratsam.
Dieser Ratschlag an meine Mandanten rechtfertig aber nicht die Pflege regionaler Bräuche und Folklore durch einzelne Richter entgegen dem gesetzlichen Leitbild. Ich will aber nicht schliessen, ohne auf die vielen Richter hinzuweisen, die die RiStBV kennen und anwenden und beim zweiten und jedem Betreten des Gerichtssaales von sich aus äussern:“Bitte bleiben Sie sitzen“. So geht es auch!
Sönke Brandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht